Klassische Planungsziele greifen zu kurz – ein Plädoyer für systemische, nachhaltige Bedarfsplanung.
Eine solide Grundlage mit Lücken
Ob Feuerwehr, Rettungsdienst oder Katastrophenschutz – alle Bereiche der Gefahrenabwehr stehen vor der gleichen Herausforderung: Sie sollen im Ernstfall wirksam, verlässlich und wirtschaftlich funktionieren. Die gesetzlich vorgeschriebene Bedarfsplanung zielt genau darauf ab. Doch was auf dem Papier solide wirkt – Reaktionszeiten, Kräfteansätze, Planungsziele – zeigt in der Praxis häufig Schwächen.
Planungen fokussieren oft auf ein einziges Ziel: das Erreichen definierter Hilfsfristen bei einer bestimmten Anzahl von Einsätzen. Aspekte wie personelle Verfügbarkeit, Instandhaltung, Systemresilienz oder wirtschaftliche Tragfähigkeit werden nachgelagert, häufig über separate Maßnahmenkataloge. Das Ergebnis: teure Planungsschleifen, Unstimmigkeiten mit Kostenträgern – und ein Sicherheitsniveau, das auf dem Papier besser aussieht als in der Realität.
Sicherheit ist mehr als eine Hilfsfrist
Der Sicherheitsdiskurs braucht neue Impulse – das machen nicht nur aktuelle Gesetzesnovellierungen deutlich, sondern auch Fachveröffentlichungen wie das Beiblatt zu den Qualitätskriterien der AGBF Bund. Dort wird für die Feuerwehren unter anderem die Relevanz der Erkundungszeit als Einflussgröße auf die Eintreffzeit und damit auf die planerische Bewertung betont. Neue Einsatzoptionen im Rettungsdienst, wie Notfall-KTW oder Gemeindenotfallsanitäter, verändern zudem die Struktur der Notfallversorgung nachhaltig – und verlangen nach neuen Denkmodellen.
Systemische Planung statt statischer Konzepte
Ein Grund für aktuelle Defizite liegt in der eindimensionalen Zieldefinition. Bedarfsplanungen werden häufig isoliert aus einer einzelnen Perspektive – meist der Feuerwehr oder des Rettungsdienstes – heraus erstellt. Dabei sind Gefahrenabwehrsysteme komplexe, dynamische Systeme mit zahlreichen Akteuren, Schnittstellen und Rückkopplungseffekten.
Ein wirksames Planungssystem muss dem gerecht werden. Es reicht nicht mehr, „komponentenbasiert“ zu planen – also Einsatzmittel und Standorte linear aus statistischen Bedarfen abzuleiten. Notwendig ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den Rettungsdienst oder die Feuerwehr als sozio-technisches System versteht: mit internen Dynamiken, externen Einflussfaktoren (Demografie, Krankenhausstruktur, Klimawandel) und strategischen Rückkopplungen.
Verlässlichkeit braucht mehrere Perspektiven
Eine systemische Betrachtung rückt die „Verlässlichkeit“ in den Mittelpunkt. Vier Aspekte sind dabei entscheidend:
- Zuverlässigkeit: Ist die definierte Leistung wirklich geeignet, die erwarteten Ereignisse zu bewältigen? Kommen also die richtigen Einsatzmittel zum Einsatz? Hier rücken neue Einsatzmittel wie der Gemeindenotfallsanitäter oder der Notfall-KTW in den Fokus – sie eröffnen neue Optionen, stellen aber auch neue Anforderungen an die Planung.
- Verfügbarkeit: Steht das System jederzeit einsatzbereit zur Verfügung? Kann die Feuerwehr oder der Rettungsdienst zeitgerecht eintreffen? Mit der Veröffentlichung des Beiblatts zu den Qualitätskriterien der AGBF Bund ist die Diskussion zur realitätsnahen Definition von Eintreffzeiten für die Feuerwehr neu entbrannt. Unterschiedliche Erkundungszeiten in Abhängigkeit der Bebauungsstrukturen beeinflussen die planerische Hilfsfrist erheblich – eine relevante Stellgröße, die bisher kaum Berücksichtigung fand.
- Instandhaltbarkeit: Lässt sich das System dauerhaft betreiben – personell, technisch, organisatorisch und finanziell? Wer Gefahrenabwehr plant, muss mehr im Blick haben als einmalige Investitionen. Wartbarkeit, Reparaturfähigkeit, Personalverfügbarkeit und langfristige Finanzierbarkeit entscheiden darüber, ob ein System nicht nur startet, sondern auch durchhält. Gerade unter Bedingungen von Fachkräftemangel, steigender Technologiedichte und engen kommunalen Haushalten ist dieser Aspekt entscheidend – und muss von Anfang an in der Planung berücksichtigt werden.
- Sicherheit: Ist das System gegen äußere Störungen gewappnet – und geht von ihm selbst keine Gefahr aus? Sicherheit umfasst beides: Resilienz gegenüber externen Einflüssen (z. B. Hochwasser, Pandemien, Krankenhausstrukturveränderungen, Cybervorfälle) ebenso wie die Minimierung interner Risiken. Ein Gerätehaus sollte beispielsweise nicht in einem überflutungsgefährdeten Bereich stehen – ebenso wenig darf ein Einsatzfahrzeug durch überhöhte Geschwindigkeit zur eigenen Gefahrenquelle werden. Gute Planung denkt den „Normalbetrieb“ mit, kennt aber auch die Ausnahme – und stellt sicher, dass das System robust bleibt, ohne selbst Risiken zu erzeugen.
Von Planung zu Gestaltung
Wer Bedarfsplanung heute als rein formale Pflichtübung versteht, verkennt ihr Potenzial. Richtig verstanden bietet sie die Chance, kommunale Sicherheit strategisch weiterzuentwickeln – unter Einbindung gesetzlicher Neuerungen, wissenschaftlicher Grundlagen und moderner Systemansätze.
Viele Bundesländer arbeiten derzeit an der Weiterentwicklung ihrer Planungsgrundlagen für Rettungsdienst und Brandschutz. Diese Entwicklungen eröffnen neue Gestaltungsspielräume – fachlich wie systematisch. Wer sie frühzeitig nutzt, kann Standards setzen, statt auf Vorgaben zu reagieren.
Zeit für neue Planungsziele
Das Ziel einer leistungsfähigen, wirtschaftlichen und rechtskonformen Gefahrenabwehr ist unbestritten. Der Weg dorthin muss jedoch neu gedacht werden. Die klassische Formel „Hilfsfrist + Funktionen + Erreichungsgrad = leistungsfähig“ greift zu kurz.
Notwendig ist ein Paradigmenwechsel: weg von rein reaktiver Planung – hin zu dynamischer Systemplanung.
Diese umfasst:
- die Integration mehrdimensionaler Ziele (Verlässlichkeit, Nachhaltigkeit, Anpassungsfähigkeit),
- die Modellierung systemischer Wechselwirkungen (z. B. Personal, Krankenhausstruktur, Klimarisiken),
- sowie die Umsetzung in robuste, nachvollziehbare Planungsentscheidungen – auch unter politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.